in Arbeit

Auf dieser Seite stehen Texte, die ich im Rahmen des RCI-Projekts „Weiterentwicklung der TZI“ formuliert habe. Sie bedürfen noch der Ergänzung, der weiteren Korrektur und Differenzierung; vielleicht muss ich sie auch ganz neu formulieren.

Der erste Text ist Aufklärung und Humanismus und die TZI.

Der zweite Text: Das Hinterfragen in Frage stellen

Der dritte Text: Erwachsenenbildung als Begleitung bei der SelbstAusbildung

Der vierte Text: Planen und ImprovisierenTZIAusbildung als Begleitung bei der SelbstAusbildung 

Der fünfte Text: Orientierung geben und Orientierung ermöglichen 

  1. Aufklärung und Humanismus und die TZI              

Ein Beitrag zur Weiterentwicklung der TZI

Die Autonomie als zentraler Begriff in Aufklärung, Humanismus und TZI 

Ein zentraler Begriff der TZI ist Autonomie. Bei der TZI-Tendenz/-Neigung, wertorientiert zu denken und zu handeln, Werte herauszuarbeiten und zu betonen, wird die Autonomie zu einem zentralen Wert und damit ein hohes Gut – ebenso wie die Nachbarn Freiheit und Demokratie. Diese drei Begriffe sind in den politischen Statements der westlichen Hemisphäre wohl die am meisten betonten Werte. Sie werden in programmatischen Reden beschworen. Sie machen den Wert Humanität aus, die es anzustreben und zu verteidigen gilt. Humanität gilt als Errungenschaft der Aufklärung, festgeschrieben in den Menschenrechten. Als solche hat der Humanismus die Religionen als Glaubensgemeinschaften abgelöst oder ist zumindest an ihre Seite getreten. Der Humanismus ist der säkulare Glaube, der Glaube an den Menschen, an Vernunft, Autonomie, Freiheit und Fortschritt – auch wenn die Humanisten es weit von sich weisen als Mitglieder einer Religion angesehen zu werden. 

Inzwischen fängt „der Humanismus“ an, „sich ehrlich zu machen“. In dem Unterfangen „Humanistik“ beginnt eine Bewegung des Humanismus damit, eine Lehrorganisation an Hochschule/ Universität zu etablieren, in der das Gedankengut und die Werte des Humanismus gelehrt werden. Dabei nehmen die InitiatorInnen ausdrücklich Bezug auf die seit Jahrhunderten etablierten Theologischen Fakultäten. In dieser Bewegung hat sich offensichtlich die Einsicht durchgesetzt, dass auch der Humanismus eine Lehre darstellt, in der die Mitglieder an Werte glauben, die also als eine Glaubensgemeinschaft anzusehen ist.

Humanität ist für uns Anhänger der TZI ein hohes Gut. Ich fürchte, dass die sprachliche Nähe zu dem neuen Glauben Humanismus die TZI in Gefahr bringt, den Glauben an den mächtigen homo sapiens, an seine Autonomie und an sein Alleskönnen zu übernehmen. 

Ich möchte zwei Philosophen mit ihrer Humanismuskritik zitieren. Sloterdijk wirft in seiner Schrift „Regeln über den Menschenpark“ dem Humanismus vor, dass er „am Leitbild des starken Menschen orientiert“ ist. Er interpretiert Heideggers Humanismuskritik: „ Tatsächlich deutet Heidegger die geschichtliche Welt Europas als das Theater der militanten Humanismen; sie ist das Feld, auf dem die menschliche Subjektivität ihre Machtergreifung über alles Seiende mit schicksalhafter Folgerichtigkeit ausagiert. Unter dieser Perspektive muß sich der Humanismus als natürlicher Komplize aller nur möglichen Greuel anbieten, die im Namen des menschlichen Wohls begangen werden können.“ (M. Heidegger, Über den Humanismus. 1949 zitiert nach Sloterdijk) Die TZI-Einsichten „Grenzen sind erweiterbar“ und „Wachstum ist möglich“ führen ohne begriffliches Gegenüber zu einer gefährlichen Nähe zum Humanismus-Glauben. Mein Anliegen ist es, die Teil-Mächtigkeit von uns Menschen, die Ruth Cohn erkannt hat, und damit die Abhängigkeit als Teil der Realität wieder in die Aufmerksamkeit zu bringen. Als „Religion der Teil-Mächtigkeit“ arbeitet die TZI nicht an der Machtergreifung durch die menschliche Subjektivität, sondern „predigt“ die Allverbundenheit. 

Auf der einen Seite hat die Aufklärung enorme Fortschritte der Naturwissenschaften und in Industrie und Technik ausgelöst. Auf der anderen Seite: Die Identifikation mit Autonomie und Freiheit als Errungenschaften der Aufklärung bewirkt, dass Abhängigkeit nur als etwas Schlechtes eingeordnet wird, das es zu verhindern, zu vermeiden, abzubauen und zu bekämpfen gilt. Sie wird in „Vernunftkreisen“, also auch im Bereich der Wissenschaften vom Menschen nicht als ein Teil jeder menschlichen Realität verstanden, sondern als zu bekämpfendes Phänomen in die Politik verwiesen. Freiheit und Autonomie bilden im Verein mit Fortschritt und Zukunft die „Haupt-Beschwörungstheorie“ der Industriestaaten der westlich geprägten Zivilisation. Abhängigkeit gibt es demnach nicht in aufgeklärten Staaten; sie ist Kennzeichen unterentwickelter oder totalitärer Staaten. 

In letzter Zeit deutet sich eine Wende an. Gerade aus Kreisen von Wissenschaftlern kommt eine Gegenbewegung, nämlich die Forderung nach Ambiguitätstoleranz, also nach der Fähigkeit und Bereitschaft Gegensätze, Widersprüche auszuhalten. Darin sehe ich die Anerkenntnis von Widersprüchlichkeit, Vieldeutigkeit und Mehrdeutigkeit. Und genau das sind Elemente des Denkmusters der Gegensatzeinheit. 

Aber: Der Wortteil Toleranz deutet an, dass es darum geht, die Ambiguität, die auf mich zukommt, die mir begegnet, die mir gleichsam wider Erwarten von außen widerfährt, zu tolerieren, als Gegebenheit anzunehmen. So hat die Ambiguitätstoleranz ihren Platz in der Kompetenzliste im Rahmen von Supervisionsausbildung. Die angehende Supervisorin sollte in der Lage sein, mit Widersprüchen, die ihr in der Supervision begegnen, umzugehen. Dass sie selbst von Widersprüchen und Vieldeutigkeit ebenso geprägt ist wie von Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit, ist nicht vorgesehen. Ambiguität ist in diesem Denken die unangenehme Ausnahme in einer ansonsten linearen Welt voller Eindeutigkeiten. Auf keinen Fall ist sie – wie im dialektischen Denken – Entwicklungsprinzip.

Dialektisch denken zur Erschütterung der linearen anthropozentrischen Weltanschauung

Der dialektischen Denkweise steht die weltweite Hochschätzung der Autonomie und Freiheit entgegen, gepaart mit der Neigung Abhängigkeit zu scheuen. Ich sehe eine internationale „Beschwörung“ von Freiheit, Fortschritt und Autonomie. Diese säkulare Religion begnügt sich nicht mit dem festen Glauben an den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt, der unleugbar berechtigt ist. Sie glaubt sogar an den Fortschritt der Moral. Das halte ich für einen Aberglauben. Ich leugne nicht die Humanisierung des Lebens in vielen Ländern auf der Erde – je nachdem, aus welcher Perspektive man blickt. Ich glaube aber nicht, dass die Menschheit in der Moral einen Fortschritt erreicht hat, hinter den sie nicht mehr zurückfallen kann. Oder ist es wirklich als Fortschritt anzusehen, dass das Töten mit bewaffneten Drohnen humaner – weil sauberer? – ist als das „mittelalterliche“ Enthaupten? Oder die Ansicht, „wir in Europa“ seien seit dem zweiten Weltkrieg von Krieg verschont geblieben. Dabei hat doch der wirtschaftlich und technisch mächtigere Teil der Welt den Krieg in andere Erdteile exportiert und der Krieg hat mehr Gesichter bekommen, z.B. Ausbeutung der Bodenschätze durch ausländische Konzerne; damit einhergehend Vernichtung von Klima und Trinkwasser; Vernichtung von Kulturen, Arten und Wäldern; der neue Kolonialismus mit Unterdrückung von Völkern und Vernichtung von ursprünglichen Landstrichen. 

Die Selbstverständlichkeit des Konsumierens muss hinterfragt werden. Freiheit und Fortschritt bilden die Grundlage des totalen Konsums. Was kostet die Bequemlichkeit bei Bestellungen im Internet und die Freiheit die Ware bei Nichtgefallen bequem zurückzusenden (und so für wachsenden Müll zu sorgen)? Die Selbstverständlichkeit der fortwährenden Produktion neuer Autos, die „die Politik“ mit dem Geschenk von Zuschüssen beim Kauf von E-Autos und mit Abwrackprämien anheizt, sollte bewusst gemacht und erschüttert werden. Wachstum und Zerstörung bilden ein Paar. Das fortwährende Wirtschaftswachstum hat auf seiner Rückseite fortwährende Zerstörung. 

Es fehlt meiner Ansicht nach an Nachdenklichkeit und Innehalten in diesem Aktivismus. Diese Nachdenk-lichkeit könnte zu der Einsicht führen, dass es keinen Profit geben kann ohne Kosten. Diese Einsicht ist eine Frucht von dialektischen Denkweisen wie: 

  • Alles hängt mit allem zusammen  
  • Es gibt nur das, was es gibt auf Erden. 
  • Was sich an einer Stelle anhäuft, ist an anderer Stelle weniger geworden. 
  • Was sich hier bei uns als Wohlstand anhäuft, wird am anderen Ende der Welt mit Zerstörung und Verelendung bezahlt. 

Der kollektive Lobgesang auf Fortschritt und Freiheit in der industriell-zivilisierten Welt bräuchte wohl eine Erschütterung von Grund auf. Auch die Pandemie scheint noch keine wirkliche Erschütterung in der Sicht auf die Erde und das menschliche Leben bewirkt zu haben. Es ist kein Umdenken erkennbar, sondern es herrscht die selbstverständliche Annahme vor, man werde bald wieder in die Normalität zurückkehren. In dem täglichen Blick auf die Corona-Zahlen sehe ich die Haltung, man könne die Pandemie mit wissenschaftlicher Statistik beherrschen. Dazu die Fixierung auf die Technik: Große Politikerfreude darüber, dass es hinreichend Beatmungsgeräte gibt. Die Freude wird von den Fachleuten getrübt: Es fehle für die Behandlung an Personal. Und dies wiederholt: Die Freude über die Technik ist so groß, dass ganz vergessen wird, dass es trotz technischen Fortschritts weiterhin Menschen braucht, die die Apparate bedienen. 

Ein anderes Beispiel für den Glauben an Technik und Fortschritt: Die Welt retten durch Bekämpfung des Klimawandels. Das Kreieren und Finden von Ideen, wie „der Mensch“ die Erde retten könnte, blüht. Wenn man genauer denkt, kommt die Einsicht: Die Menschheit kann aufhören die Erde zu zerstören, die Erde retten kann sie nicht. Aber dafür ist noch kein Platz neben dem Größenwahn des allmächtigen Menschen.

Die Idee, das Leben auf der Erde grundsätzlich zu ändern und die Erde als Mutter Erde zu begreifen, findet nicht die Verbreitung wie der Lösungsansatz die Erde durch technischen Fortschritt zu retten. Die Idee die Zerstörung der Erde zu beenden hat sich bis jetzt nicht durchgesetzt. Vielmehr kann man sogenannte „Verschmutzungsrechte“ erwerben. Das sind Anrechte die Erde in kleinen oder größeren Portionen zu zerstören. Hier fehlt die Gegensatzeinheit Verändern und Bewahren. Stattdessen: Voller Hoffnung weiter machen statt umzukehren. 

Ich sehe durchaus Ansätze zur Unterbrechung, aber noch keine Umkehr. Ein Lichtblick z.B.: Die Erkenntnis, in den Herkunftsländern der Flüchtlinge für menschenwürdige Lebensbedingungen zu sorgen, hat es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geschafft. Das vorherrschende  Denkmuster ist aber weiterhin: Wir müssen kämpfen, wir müssen retten – die Flüchtlinge, das Klima, die Erde. Und retten bringt erhabenere Gefühle als umzukehren oder Prävention zu betreiben. Wir leben in einem Zeitalter der Rettung. Und Rettung ist – bei aller Konzentration auf die Opfer – eine Seite im Kampf, eine Spielart der Macht. In dem Boom von Power und Empowerment kann die TZI mit ihrer Kompetenz für die Fähigkeit auch die andere Seite zu beachten eine Alternative bieten. Die Fähigkeit und Bereitschaft zu Unsicherheit und Schwäche tut not. Diese kann die TZI fördern mit ihrer Kompetenz für Störung und Widerspruch und mit der dialektischen Denkfigur Gegensatzeinheit. 

2. Das Hinterfragen in Frage stellen  

(Bis jetzt habe ich die Vorzüge des dialektischen Denkens beworben. Es wird Zeit, dass ich auch seine Grenzen bedenke.) Meine Aufforderung die Grundfesten zu hinterfragen möchte ich selbst in Frage stellen. 

Hinterfragen ist eine Weise des intensiven Nachdenkens, des Reflektierens. Ich stelle mich beim Reflektieren gleichsam außerhalb meiner selbst, außerhalb des Systems und betrachte mich bzw. das System von dieser Position aus. Selbstdistanzierung kann meine Lebendigkeit untergraben; sie birgt die Gefahr, dass ich mehr über das Leben nachdenke als zu leben; dass ich mich so intensiv beim Leben beobachte, dass ich zu leben vergesse. Das Hinterfragen meiner Identität z.B. kann diese ins Wanken bringen. Die Dialektik fördert die Vielheit, die Viel- und Mehrdeutigkeit; sie untergräbt die Eindeutigkeit. Sie bringt also Gefahren in Bereichen und Situationen, in denen die Menschen auf Eindeutigkeit angewiesen sind, in denen eindeutige Informationen lebensnotwendig sind. Die Bestimmung der Blutgruppe muss eindeutig sein. ((Weniger feste Selbstverständlichkeiten wie Terminverabredungen: eher locker, temporär, was man normalerweise nicht hinterfragt, aber grundsätzlich hinterfragen kann. Und diese Erkenntnis kann nur haben, wer reflektiert hat.))

Die Grenzen der Achtsamkeit

Reflektieren unterbricht den „naiven“ Lebensfluss. Und genau damit wird ja für die Reflexion geworben: Mal innehalten, den gewohnten Gang unterbrechen; nicht unreflektiert weitermachen, sondern sich auf sich selbst besinnen. Die Werbung für’s Reflektieren gleicht der Werbung für Achtsamkeit. Sie fordert auf, bisher unbeachtete Abläufe in Geist und Körper in die Bewusstheit zu heben bzw. kommen zu lassen. Um Körperbewegungen, die automatisch ablaufen, bewusst gewahr zu sein, muss ich den Automatismus der Bewegung unterbrechen, den Ablauf quasi „zerhacken“. Um mein gewohntes Handlungsmuster zu entdecken, muss ich meine Spontaneität unterbrechen. Reflektieren kann also mit Verlust an Lebendigkeit bezahlt werden. Und der Verlust an Lebendigkeit soll bei der TZI, dem System des Lebendigen Lernens, von Nutzen sein können? 

Man könnte diesen Einwürfen beschwichtigend begegnen: Reflektieren selbst kann höchst lebendig sein. Und es ist ja auch nur eine Ausnahmesituation im Lebensfluss. Außerdem können gerade TZI-Leute aufgrund ihrer umfangreichen Reflexionserfahrungen „beidfüßig“ gehen: Sie handeln und reflektieren gleichzeitig. Und im Seminar trennen wir die Ebenen: Wenn wir die Reflexion des Gruppenprozesses einleiten, „gehen wir auf die Metaebene“. 

Aber die Infragestellung des Reflektierens geht weiter. Reflektieren als Unterbrechung von selbstverständlichen Automatismen kann nicht nur zum Verlust an Lebendigkeit führen, sondern sogar zum Verlust des Lebens. Wenn ich bei der Autofahrt plötzlich überlegen muss, wo denn nun die Bremse ist, wenn der Bewegungsautomatismus durch Nachdenken unterbrochen wird, gerate ich in Lebensgefahr. In einem Film von Godard (Geschichte der Nana S.) erzählt ein Philosoph die Geschichte eines Mannes, der daran stirbt, dass er zur unpassenden Zeit über sein Laufen nachdenkt. Er hat die Zündschnur für die Sprengung eines Tunnels angezündet und beim Zurücklaufen aus dem Tunnel fängt er an darüber nachzudenken, dass und wie er läuft, und wird immer langsamer. Der zusammenbrechende Tunnel begräbt ihn unter sich. 

Ein anderes Beispiel für die Gefährdung durch Reflektieren: Es gibt einen Vorschlag, wie man Krise und Katastrophe unterscheiden kann: In der Krise reflektiert man; in der Katastrophe handelt man. Feuerwehrleute und Soldat*innen sind demnach Fachleute für Katastropheneinsätze. Sie trainieren Handlungsabläufe, damit sie bei Entscheidungen in der Katastrophe in den erforderlichen automatisierten Handlungsablauf kommen und nicht großartig nachdenken müssen. (s. David Keel, Allein das Zögern ist human. in: Themenzentrierte Interaktion Heft 1/2021) Wie sind sie davor gefeit, dass sie im Gehirn nicht – wie der Widerstandskämpfer – in die falsche Bahn rutschen, anfangen nachzudenken statt automatisch zu handeln? (Ich bin mir auch unsicher, inwieweit intensives Denken die kindliche Entwicklung behindert oder/und fördert.)

Solche Fragen und Zweifel gehören dazu; sie sind die Rückseite der Medaillen Reflexion und Dialektik. Was tun? Die Denkmuster der TZI trotzdem erforschen? Die TZI-Leitsätze auf dem Hintergrund der Denkmuster überprüfen und dort, wo es angebracht scheint, umformulieren? Könnten wir auf diese Weise die TZI weiter entwickeln? Am besten ist wohl eine TZI-Dialektik, die zaudert.  ((eine andere Art von Reflexion, nicht aus der Vogelperspektive, sondern eine, die mittendrin steckt – also: Forschen)) 

Literatur 

David Keel, Allein das Zögern ist human. in: Themenzentrierte Interaktion Heft 1/2021

Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1949

Martin Heidegger, Brief über den Humanismus, 1947

Helmut Reichert, Dialektik – ein Grundzug der TZI. in: Themenzentrierte Interaktion 2019, S. 35 – 45.

Die nachfolgenden Texte entstanden ebenfalls im Rahmen des RCI-Projekts „Weiterentwicklung der TZI“. Ursprünglich war es ein Text mit dem Titel „TZI in der Erwachsenenbildung“. Ich habe ihn aufgeteilt in „Erwachsenenbildung als Begleitung bei der Selbst-Ausbildung“, „Planen und Improvisieren – TZI-Ausbildung als Begleitung bei der Selbst-Ausbildung“ und „Orientierung geben und Orientierung ermöglichen“. Ich will die Texte weiter bearbeiten.

3. Erwachsenenbildung als Begleitung bei der SelbstAusbildung

Auf der Grundlage der TZI ist in der Ausbildung in Supervision und Coaching des Instituts „Supervision und TZI e.V.“ ein Bildungsansatz entstanden, der die Autonomie, die Chairpersonship ins Zentrum stellt. Die Ausbildungsleitung sieht ihre Hauptaufgabe darin, die Teilnehmenden bei ihrer Selbst-Ausbildung zu begleiten. Die einzelnen Teilnehmenden orientieren sich nicht an einem festen Curriculum, das über die Jahre in mehreren Ausbildungsgängen beibehalten wird, sondern an einem Rahmenkonzept, das fortgeschrieben wird. Dieses animiert sie den persönlichen Lernbedarf zu ermitteln und die für ihre persönliche Entwicklung erforderliche Unterstützung bei der Ausbildungsleitung einzufordern. Vor Beginn der einzelnen Ausbildungsabschnitte werden sie aufgefordert, der Ausbildungsleitung die für sie aktuellen Lernbedarfe mitzuteilen. Diese Lernbedarfe sind den Teilnehmenden in der Nacharbeit des letzten Abschnitts und ihrer Eigenarbeit in der Zwischenzeit deutlich geworden. Sie werden mit den im Rahmenkonzept vorgesehenen Bildungsschwerpunkten zu einer Vorstruktur für den kommenden Ausbildungsabschnitt verbunden. Der Bildungsansatz versteht sich als Forschung und widersteht dem fortschrittsfixierten Trend der Verwissenschaftlichung von Supervision und Supervisionsausbildung. Er praktiziert Aktionsforschung in der Nachfolge von Kurt Lewin. So wird den Wirkgrößen Individualität und Originalität viel Raum gegeben bzw. gelassen.

Die Teilnehmenden entwickeln ihre Kompetenz in Supervision und Coaching, indem sie ansetzen an ihren bisherigen Beratungserfahrungen – als Nehmende und als Gebende („Beratungsbiografie“). Allein indem sie ihrer bereits vorhandenen Fähigkeiten zu beraten bewusst werden, sie in Bild und Wort vor sich und der Gruppe ausbreiten, bauen sie ihre Beratungskompetenz weiter aus. Sie entwerfen mit Unterstützung der Ausbildungsleitung und der festen Ausbildungsgruppe ihr persönliches Lern- und Entwicklungsprofil. Sie schreiben das Profil fort und nutzen es als ihren persönlichen Ausbildungskompass, der ihnen anzeigt, in welchem Bereich sie sich weiteres Fachwissen aneignen sollten. In der Bearbeitung von Fällen machen sie Erfahrungen als Coach und Coachee/als Supervisorin und Supervisandin. In dem anschließenden Austausch über die Fallarbeiten können alle Beteiligten erkennen, wo sie ihr Methodenrepertoire erweitern sollten. 

Gegenüber dem traditionellen Verständnis der Erwachsenenbildung stellt dieser Ansatz einen Paradigmenwechsel dar. Der dort übliche Vorrang des Verstandeslernens und des Erwerbs von neuem Wissen wird dadurch  relativiert, dass ihm das Lernen durch Erfahrung als gleichwertig an die Seite gestellt wird. Die Klassifizierung in Anfänger, Fortgeschrittene und Meister verliert an Bedeutung, da diese Unterschiede beim Erfahrungen machen nivelliert werden. Dort geht es um Lebens- und Arbeitserfahrung, um Werte, Standpunkte und Haltung. In den Bereichen menschliche Kommunikation und Kooperation sind alle Fachleute. Da arbeiten alle Beteiligten als Erwachsene an einem gemeinsamen und an unterschiedlichen Lern- und Praxisprojekten im Rahmen unterschiedlicher Voraussetzungen. Die Funktion der Lehre wird dann zurückgefahren und die Funktion der Bildungsorganisation wird hoch gefahren. Da passt der Ausdruck „Ermöglichungsdidaktik“. Er erinnert mich an die Wendung “Gedeihräume schaffen“ und an die Selbstdefinition mancher TZIlerinnen als „Ermöglicherin“. 

Der bedeutsame Unterschied zu dem Ansatz Ermöglichungsdidaktik von Arnold/Schübler (Hinweis von Stefan Böhm): Während dieser Ansatz sich primär auf das Erlernen von Wissen konzentriert, geht es in unserem Ansatz vorrangig um das Lernen als Einprägung, also um das Lernen durch Erfahrung. Den Impuls zu dieser Sicht auf Lernen verdanke ich Moshé Feldenkrais, der mit seinem Ansatz „Bewusstheit durch Bewegung“ eine Anleitung zur Selbst-Erfahrung und Selbst-Analyse bietet. In den Übungsanleitungen gibt Feldenkrais keine Anweisungen, wie man sich richtig bewegt, sondern nur Impulse/Hinweise zur Selbst-Aufmerksamkeit: sich selbst durch Vorher-Nachher-Vergleiche gewahr zu sein; die Körper-Empfindung und Körper-Wahrnehmung vor und nach der Bewegung/vor und nach der Übung in die Bewusstheit zu nehmen. Darin enthalten ist die Anregung sich des Selbstverständlichen bewusst zu werden, z.B. der Tatsache, dass wir Körper sind und als Körper z.B. der Schwerkraft unterliegen. Diesen Lernansatz Bewusstheit durch Selbst-Aufmerksamkeit von Moshé Feldenkrais nehmen wir als Lerntheorie für unseren Bildungsansatz der Selbst-Ausbildung. 

Der Lernansatz Einprägung durch Selbst-Aufmerksamkeit wird dem traditionellen Ansatz Lernen mit Lernzielen gegenüber gestellt. Er fordert dazu auf, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was gerade ist, und schult das Vermögen, das Selbstverständliche in den Blick und in die Bewusstheit zu nehmen. Für TZIlerinnen ist das nicht neu. Geht es doch in den TZI-Seminaren immer wieder um Erfahrungen, um Innehalten und sich bewusst machen, was man gerade erlebt hat. Neu ist vielleicht die Hervorhebung von Einprägung und die Degradierung des zielfixierten Lernens in die zweite Reihe. Ich verbinde damit eine Renaissance des frühkindlichen Lernens, wo das Kind sich nicht vorsätzlich etwas einprägt, sondern wo ihm Einprägung widerfährt. Seine ganze Existenzweise ist Lernen. Körper und Bewusstsein entwickeln Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Denkroutinen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. 

Die Übertragung dieses Lernansatzes auf die Erwachsenenbildung bewirkt eine Art Resozialisation im Erwachsenenalter: Das zielfixierte schulische Lernen wird mithilfe des Lernens durch Einprägung relativiert. Eine Variante dieser Resozialisation sehe ich in der Achtsamkeits-Bewegung. Sie führt in einer Art Regression zur Bewusstheit der Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Denkroutinen und damit zurück zu der in der Kindheit entwickelten ganzheitlichen Aufmerksamkeit.

Der Paradigmenwechsel bringt eine Schwierigkeit mit sich: Teilnehmende, die gewohnt sind, sich an der kompetenten Ausbildungsautorität zu orientieren, werden auch in dieser Ausbildung Fachautorität erwarten und einfordern. Die traditionelle Bildung „holt die Menschen dort ab, wo sie sind“ – heißt es. Das bedeutet zunächst: Sie muss in einer Sprache kommunizieren, die anschlussfähig ist. Es bedeutet aber auch: Sie holt die Teilnehmenden bei ihrer Bildungserwartung ab. Und diese besagt nun mal: Wer etwas Neues lernen will, muss sich sagen lassen, was er zu lernen hat, da er das selbst nicht wissen kann. Hier entsteht der Leitung einer Selbst-Ausbildung aus der Autonomie der Teilnehmenden ein Dilemma: Fremdbestimmtes und selbstbestimmtes Lernen im Kampf? Nicht alle Teilnehmenden werden mit fliegenden Fahnen in die Eigenverantwortung für ihre Ausbildung springen. Einigen wird Begleitung bei der Selbst-Ausbildung nicht reichen; sie werden nach Anleitung verlangen, vielleicht gar nach Führung.

Der Glaube an den Bildungsansatz Selbst-Ausbildung und der Glaube an den in der TZI beheimateten Wert Autonomie versichern: Auch dieser Mensch, der Fachautorität einfordert, will selbstbestimmt lernen. Es gilt, diesem Bedarf nach Fachautorität entgegenzugehen und gleichzeitig/auf die Dauer die Autonomie der Teilnehmenden zu wahren, also in dieser Spannung als Erwachsenenbildnerin tätig zu sein. Und das ist eines der Wesenselemente der TZI: Gegensätze /Widersprüche auszuhalten und damit zu arbeiten. Ihr dialektischer Ansatz, der sich z.B. in der Theorie der Gegensatzeinheit ausdrückt, arbeitet mit der Grundannahme, dass alle Entwicklung und speziell menschliches Miteinander sich in Gegensätzen vollzieht, die miteinander verbunden sind. Insofern sollten TZIlerinnen wohl Fachleute im Balancieren zwischen Erwartungsenttäuschung und Erwartungserfüllung sein. 

Der Umgang mit diesem Spannungsfeld erfordert, dass frühzeitig die Themen Bildung und Lernen bearbeitet werden und dass die Lern- und Bildungsinteressen der Teilnehmenden und das Lernkonzept der Leitung zur Sprache und in die Auseinandersetzung kommen. Dabei dürfte es eine Rolle spielen, wie autonomiebetont die Kommunikation ist. Wenn ich nach Erwartungen und Anliegen der Teilnehmenden frage, spreche ich sie als Empfangende, als Konsumenten und damit in ihrer Abhängigkeit an. Dieser Sprachgebrauch passt für Leitende, die sich primär als Gebende, als Vermittelnde verstehen, die „die jungen Menschen befähigen“ möchten; die sich als Helfende verstehen. Wenn ich die Autonomie „kitzeln“ möchte, spreche ich die Teilnehmenden als ihre eigenen Interessentinnen an, als Vertreterinnen und Verfechterinnen ihrer eigenen Interessen. 

Und dennoch: Ohne Auseinandersetzung zwischen Leitenden und Teilnehmenden um den passenden Bildungsweg wird es nicht gehen. Und dieser Weg ist individuell, ganz persönlich für die Einzelnen. Die Leitenden werden mit denen, die nach Fach- und Leitungsautorität verlangen, um das passende Mass von Selbst- und Fremdbestimmung ringen. Es wird auf dem Ausbildungsweg wiederholt darum gehen, rechtzeitig zu erkennen, wenn sich jemand alleingelassen fühlt und Hilfe und An-Leitung beim Lernen braucht. Dann müssen die Leitenden in der Lage sein, über ihren Schatten zu springen und die Betreffenden an der Hand zu nehmen und ein Stück zu führen. Das wäre die erforderliche Kunst: Führen ohne das Konzept der Selbst-Ausbildung zu verraten. In diesem Widerspruch navigieren, diese Dialektik handhaben ist unsere Aufgabe.

Das kann gelingen, wenn wir uns in der Leitungsrolle als forschend, als mit-lernend und neugierig begreifen. Wenn wir selbst zu neuen Erfahrungen bereit sind und uns von den Teilnehmenden und von unseren Wirkungen beibringen lassen, wie wir unsere Leitungskompetenz verbessern können. 

4. Planen und ImprovisierenTZI-Ausbildung als Begleitung bei der Selbst-Ausbildung 

Der Ansatz Selbst-Ausbildung bedeutet für die Erwachsenenbildung mit und in TZI: Der Unterschied zwischen Wissenden und Unwissenden verblasst. Er gilt nur noch für die Vermittlung der TZI-Sprache und des festen TZI-Wissensbestands wie Vierfaktorenmodell, Postulate, Axiome und Dynamisches Balancieren. Ortfried Schäffter geht noch weiter bei der Überprüfung, wer die Wissenden und wer die Unwissenden im Rahmen von Erwachsenen-bildung allgemein sind: „Hier muss im Einzelnen geklärt werden, wer jeweils die Experten und wer die Lernbedürftigen sind. Diese Reflexionsfunktion verschafft Erwachsenenbildung einen erheblichen Gestaltungsrahmen. In ihm stellt bereits eine weitreichende pädagogische Entscheidung dar, auf welche Weise die Differenzlinie zwischen Lehrenden und Lernenden bestimmt werden, wenn es darum geht, Kontextgrenzen zwischen den Generationen, den Lebensbereichen und Milieus, den beruflich-fachlichen Subkulturen, den regionalen Lebenswelten oder zwischen den großen Kulturen der Welt an ihren Irritationen erfahrbar werden zu lassen und dann als Spannung zwischen Wissen und Nichtwissen „didaktisch“ umzusetzen. Entscheidend ist dabei, dass es dabei um „didaktisches Handeln“ geht, also um Fragen des Wissens und nicht um Fragen von Anpassung und Widerstand.“ (Irritation als Lernanlass, S. 12)

Die in TZI-Kreisen hoch geschätzten Werte Schutz und Hilfe für die Teilnehmenden würden in einer TZI-Selbst-Ausbildung vielleicht an Bedeutung verlieren. Die Ausbildenden würden ihre Rolle als fürsorgliche Eltern abbauen und stärker in die Rolle der Beraterin gehen. In der Selbstanwendung könnte der Ansatz bedeuten, dass die Ausbildungsordnung als Ausbildungsrahmen nicht zu einem finalen Text wird, der für viele Jahre gelten soll. Man könnte die Formulierung des Rahmens als fortlaufendes Forschungsprojekt verstehen; er würde fortgeschrieben, d.h. also ergänzt, korrigiert, neu erfunden und als Version X veröffentlicht. Da geht es dann um das Spannungsfeld zwischen Orientierung und Orientierungslosigkeit, also darum Orientierung zum Rahmen zu geben und die individuelle Füllung des Rahmens in Selbst-Leitung zu ermöglichen.

Die derzeitige TZI-Ausbildungsordnung bewirkt vielleicht ein Zuviel an Orientierung und ein Zuwenig an Orientierungslosigkeit – sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrenden. Eine Frage im Rahmen der Selbstbestimmung der Lehrenden: Wie balanciere ich zwischen Orientierung und Orientierungslosigkeit? Oder anders ausgedrückt: Wie navigiere ich beim Driften? Bin ich überhaupt bereit zu driften, also phasenweise ohne Sicherheit und Orientierung zu sein und zu lehren und den Teilnehmenden diese Unsicherheit zuzumuten? Dazu braucht es eine gute Portion Unsicherheitsbereitschaft, quasi Verstörungsbereitschaft (mich verstören zu lassen und nicht zu verhindern, dass andere verstört werden/andere nicht vor der Verstörung zu schützen). Dass dies Elemente des TZI-Systems sind, ist unbestritten. Die Frage ist: Wieviel Erschütterungsbereitschaft mutet sich die Seminarleitung/Ausbildungsleitung zu?

Eine Aufforderung zur Erschütterungsbereitschaft sehe ich im Störungspostulat. Es bedeutet zunächst, dass ich umsichtig damit umgehe, wenn eine teilnehmende Person verstört ist oder wenn der Gruppenprozess gestört wird. Wenn ich das Störungspostulat auf mich als Gruppenleiter und Erwachsenenbildner anwende, dann bin ich aufgefordert meine eigene Erschütterungsbereitschaft in den Blick zu nehmen. Und in dieser Bereitschaft die Zuversicht zu haben, dass „wir es gemeinsam schon schaffen werden“.

Selbst-Ausbildung ist in der TZI-Bewegung nicht neu. Die TZI-Ausbildung war einmal konzipiert als individuelle, persönliche Ausbildung. Sie war gedacht als Persönlichkeitsbildung, in der die Teilnehmenden die Fähigkeit entwickeln und ausbauen Gruppen im eigenen Berufsfeld nach TZI zu leiten. Sie war zeitlich nicht vorbestimmt; sie bestand aus einer Ansammlung von Kursen/Seminaren, die die Einzelnen nach ihrem persönlichen Entwicklungsbedarf aufgesucht haben. Meist hatten sie eine Graduierte als Mentorin, die sie bei der Auswahl der Seminare und der jeweiligen Leitungsperson beraten hat. Die Ausbildungsordnung bestimmte Art und Mindestanzahl von Kursen, die bestimmte Inhalte abdecken mussten. Dass die einzelne Ausbildung in dem vorgegebenen Rahmen stattgefunden hatte, überprüfte die (internationale/regionale) Ausbildungskommission. Diese Tradition ging meiner Ansicht nach durch die detaillierte Neuordnung der Ausbildung in Grund- und Aufbauausbildung, erst recht durch die nachfolgenden Vorschriften, z.B. die genauen Inhaltsangaben für die Methodenkursarten verloren. Ich sehe darin eine Regulierung, die Teilnehmende und Leitende mit übertriebener Orientierung entmündigt. 

In der TZI-Tradition wurde immer viel Wert auf die Besonderheit der einzelnen Person gelegt. Insofern wurde Originalität gefördert und gefordert. Auch die Persönlichkeiten der TZI-Lehrenden sind erfreulich vielfältig. Nostalgischer/Wehmütiger Blick auf den Werdegang der TZI und der TZI-Ausbildung: Nach der Überwindung der Chaosphase mit Louis Lambelet, Norman Libermann u.a., in der das Improvisieren die Oberhand hatte, und nach den Orientierungslosigkeits-Seminaren von Kari Aschwanden, scheint die TZI-Ausbildung in den letzten Jahrzehnten im Zuge der europaweiten Bildungsreform namens „Bologna“ bürokratisch geworden zu sein. Die Bildung und auch die TZI-Ausbildung hat sich der totalen „Verfügbarkeit“ (Hartmut Rosa) „der Wissenschaft“ verschrieben. Die frühere Originalität und Vielfalt bildet die derzeitige Ausbildungsordnung nicht ab. 

Was sie abbildet, ist der universitäre Zeitgeist der letzten Jahrzehnte, der zur Erhöhung der Effektivität die Studienordnungen durchrationalisiert hat. Insofern ist die TZI „mit der Zeit gegangen“, hat sich „auf die Höhe der Zeit begeben“ anstatt auf ihre Originalität zu vertrauen. Gewiss: die Chairpersonship steht immer noch an erster Stelle in der Ausbildung, aber deren Ordnung betont die Standards und vergisst die Improvisation. Ich bin überzeugt, dass die Gruppen und auch die Ausbildungskurse nicht nach Schema F durchgeführt werden, sondern dass das Improvisationstalent der Leitenden und der Teilnehmenden eine große Rolle spielt. Also sollte die Improvisation nicht auf das Hier-und-Jetzt der Kurswirklichkeit beschränkt sein, sondern auch in der TZI-Theorie und in der Ausbildungsordnung ihren Platz finden. Der möglicherweise angestrebten Reinheit der Lehre würde deren Vielfalt und Vieldeutigkeit an die Seite gestellt. 

Es ist an der Zeit die Bildung dem Zugriff „der Wissenschaft“ zu entwinden und sie neugierig Forschenden anzuvertrauen. Forschenden, die nicht zielfixiert, sondern ergebnisoffen, also wirkungsorientiert forschen. 

Ich möchte die Improvisation aus ihrer vorbewussten Selbstverständlichkeit herausheben und in die Bewusstheit rücken. Ich wünsche mir, dass wir sie von dem Ruch der Beliebigkeit, Zufälligkeit, der Planlosigkeit befreien. Sie sollte als ein legitimes und häufig eingesetztes Methodenelement der TZI aufgefasst und sowohl in die Ausbildung als auch in die Theoriebildung integriert werden. Sie würde als Methode gewürdigt, ohne die die TZI nicht leben kann. Wenn wir uns die Leitungspraxis ansehen, dann ist sie in der Regel Gestaltung im Augenblick oder zumindest Gestaltung auf Sicht. Sie ist immer mit geprägt von der Gestaltungsmethode Improvisation, sogar in den Fällen, in denen versucht wird einen Prozess nach einem vorgefassten Ablaufschema zu steuern. Auch dort gibt es Situationen, in denen Ungeplantes, Unvorhergesehenes eintritt und die nach spontaner Regulierung/Bewältigung verlangen, weil es keine vorbestimmte Regel gibt. ((Improvisation als Element der Haltung?))

Ich verstehe die TZI als ein System, das Rahmenvorschläge für praktisches Leitungshandeln und für persönliches Verhalten und Handeln gibt, aber auf konkrete Handlungsanweisungen verzichtet. Konkrete Handlungsanweisungen findet man nur in den Hilfsregeln, die ihren Sinn haben beim Einsteigen in die TZI und eine Hilfe bei der Persönlichkeitsbildung sind. In Lehre und Ausbildung spielen sie zur Zeit wohl kaum eine Rolle. 

Sowohl die TZI-Gruppenleitung als auch die TZI-Ausbildung balanciert im Spannungsfeld von Planung und Improvisation. Eine interessante Forschungsaufgabe wäre es, die Originalität spontaner situativer Erfindungen der TZIler*innen zu sammeln. Die Bildungsziele der TZI-Ausbildung zu ergänzen um eine Sammlung der vielfältigen Weisen zu improvisieren und der Eingebung zu folgen; die Zielorientierung und den Lernstoff aus dem Blick zu verlieren und sich der augenblicklichen Erfindung der TZI hinzugeben. Wenn man den Ansatz der Selbst-Ausbildung auf die TZI-Ausbildung überträgt, hat das zur Folge, dass die Vermittlung der TZI ergänzt wird um das Gegenüber der Neuerfindung der TZI durch die Teilnehmenden. Im gewagten Bild gesprochen: Es braucht die Bereitschaft, dass wir als Schriftgelehrte uns vom zwölfjährigen Jesus die TZI erklären lassen. 

Ein möglicher Forschungsgegenstand dabei ist: die Selbstverständlichkeiten des Vorgehens ins Bewusstsein heben. Die Methoden/Verfahren/Denkmuster von Improvisation, Assoziation, Intuition, Kreativität beim Spielen mit der TZI ans Licht zu bringen/kommen zu lassen. Das Erforschen der Improvisations-Denkmuster, die für TZI fruchtbar sein könnten, beschränkt sich nicht auf das Spielen mit der TZI. Wenn ich mich auf der Ebene der Muster und Verfahren bewege, dann kann ich in allen Sparten, in denen Improvisation, Assoziation, Intuition, Kreativität usw. eine Rolle spielen, fündig werden für meinen Einfallsreichtum in der TZI. Und es dürfte wohl keinen Bereich geben, in dem es nicht auf Kreativität ankommt. Diese ist nicht nur in der Kunst, also Malerei, Choreographie, Musik, Literatur, Architektur usw. gewinnbringend zu erforschen. Auch in den sogenannten Wissenschaften wie z.B. Chemie und Physik gibt es Anekdoten, wie eine bahnbrechende Erkenntnis ihren Weg ins Bewusstsein gefunden hat. In diese Reihe von Eingebungen gehört Ruth Cohns TZI-Dreieck. Dieses Unterfangen könnten wir als Erforschung des sogenannten Zufalls verstehen. In der Improvisation gehe ich nicht auf die Suche nach etwas Bestimmten, sondern ich nutze den Einfall, der mir aus dem Schatz meiner Erfahrung zu-fällt. Ein Zweig dieser Forschung ist die Selbst-Erforschung im Sinne der Aktionsforschung. 

Der Paradigmenwechsel, den die ILK 2020 für ihre Organisation beschlossen hat, könnte in der neuen Ausbildungsordnung seinen Niederschlag finden. Den Paradigmenwechsel sehe ich in der Bereitschaft beim Ausprobieren des soziokratischen Konzepts Erfahrungen zu sammeln und das zielorientierte Anstreben bestimmter Ergebnisse hintanzustellen. Insofern ist die Arbeit in den soziokratischen Kreisen ein Forschungsprojekt. Die RCI-Graduierten erforschen, wie sie sich am besten organisieren, indem sie sich soziokratisch organisieren. Sie geben sich gleichsam dem Zufall anheim. Eigentlich ist man immer dem Zufall ausgeliefert. Diese Gewissheit geht aber leicht verloren oder wird gar geleugnet mit Hinweis auf die Gewissheit eines Plans, nach dem man sich richtet, damit er zu einem erwünschten Ziel führe. Dass jeder Plan nur eine provisorische Vorhersage der Zukunft ist, wird leicht vergessen. In dem ILK-Forschungsprojekt verzichten wir auf einen Lageplan, der uns zeigt, was wo liegt. Wir haben nur ein Verfahren, das wir ausprobieren. Wir nehmen an, dass dieses Organisationsverfahren zu uns und zu TZI passt, und vertrauen dem Leumund dieser Organisationsform anstatt einem Plan über eine unbekannte Zukunft.  

Wir gehen vor wie bei unserer Arbeit in der TZI-Gruppenleitung und in der TZI-Ausbildung. Auch dort kennen wir die Zukunft nicht; wir wissen nicht, was am Ende herauskommen wird. Wir haben nur unsere Vorstruktur als eine Art provisorischen Plan mit Lücken; und dazu unsere Erfahrung und Bereitschaft aufmerksam zu sein und die Zuversicht, dass auch Fehler sein dürfen. Ich muss nicht alles in der Hand haben und verantworten. Ich kann auf die Gruppe und die Teilnehmenden vertrauen. In den Gruppen erfinden/entwickeln wir gemeinsam mit den Teilnehmenden das Seminar. In den ILK-Kreisen gestalten wir gemeinsam unsere Zukunft im RCI, ohne sicher zu wissen, wo das enden wird. Wir verzichten auf das Sicherheitsgefühl, das sich im Glauben an den Plan einstellt. 

Wenn man dem Ansatz „Begleitung bei der Selbst-Ausbildung“ einen Sinn abgewinnen kann, dann stellt sich die Frage: Wie und wo kann er in einer neuen TZ-Ausbildungsordnung einen Platz finden? Zunächst könnte man prüfen, welche Elemente der beschriebenen Selbst-Ausbildung – eventuell modifiziert – in die TZI-Ausbildung übertragen werden könnten. Dazu auch die prüfende Überlegung: Wie viel Bestand muss nach außen hin sichtbar sein, damit das Bildungsangebot private und öffentliche Anerkennung/Akzeptanz erfährt? Ohne Nachfrage bringt das beste Angebot nichts. Und nach Innen: Wie viel Wiedererkennbarkeit und Kontinuität ist – gleichsam, als Besitzstandswahrung – nötig für meine persönliche TZI-Identität? 

Ein paar Ideen für den Fall, dass die Aufteilung in Grund- und Aufbauausbildung bewahrt werden soll: 

  • Selbst-Ausbildung als „zweiter“ Ausbildungsweg in der Grund- und Aufbauausbildung 
  • Selbst-Ausbildung als „zweiter“ Ausbildungsweg nur in der Aufbauausbildung 
  • Grundausbildung wie bisher; Aufbauausbildung als Selbst-Ausbildung

Vielleicht könnten zwei Ausbildungswege eingerichtet werden, einer als traditionelle Ausbildung und einer als Begleitung bei der Selbst-Ausbildung.  

5. Orientierung geben und Orientierung ermöglichen 

In Bildung geht es immer um Orientierung. Das Vermitteln von Wissen, das Entwickeln von Kompetenzen und das Ermöglichen von Erfahrung: Alles dient letzten Endes der Orientierung in der Welt. Orientierung ist also auch eine Aufgabe in der TZI-Ausbildung und in der TZI- Gruppenleitung. 

Meine Überlegungen zur Orientierung als Aufgabe in der Bildung beginne ich mit der TZI-Gruppenleitung. Zuvor betrachte ich die Orientierung, die Kindern gewährt wird. Vorausgesetzt, dass frühkindliche Erziehung in einer Mischung aus Ermuntern, Gewähren und „Nein“ besteht, geht es ganz platt um „Dürfen“ und „nicht Dürfen“. Ich sehe darin den höchsten Grad an Orientierung überhaupt; in dieser Gestalt bietet sie feste Grenzen und damit einen festen Halt. Wenn das Kind weiß, was wann erlaubt und was wann verboten ist, was gut und was schlecht ist, ist es auf viele Situationen vorbereitet. Es kann einigermaßen sicher durch’s Leben gehen. Würde man dem Kind nur eine leere Ethik an die Hand geben – etwa den Kantischen Imperativ oder Ruth Cohns „Schau nach innen…“ – dann wäre das Kind wohl überfordert. Auch die Beschwörung von Zuversicht wie „Das kriegst du schon geregelt.“ gäbe dem Kind womöglich keine Orientierung, sondern eher eine zu große Selbstbestimmung, also Verantwortungslast. 

Das Maß an Orientierung bestimmt den Grad von unmündig und mündig. Je umfassender, detaillierter und konkreter die orientierenden Handlungsanweisungen sind, umso höher der Grad der Unmündigkeit, der Fremdbestimmung. Die Kindererziehung geht in der Regel den Weg, die Fremdbestimmung abzubauen und Lücken für die Selbstbestimmung zu schaffen bzw. zu lassen. Wenn sich die frühkindliche Erziehung als Entwicklungsförderung begreift, dann enthält die Fremdbestimmung schon „Spuren“ von Autonomie. Die Entwicklungsförderinnen ziehen das Kleinkind nicht „nach ihrem Bilde“ in eine bestimmte Richtung; vielmehr versuchen sie die Neigungen des Kindes zu erforschen und mit Unterstützungsangeboten zu fördern. Die Bestimmungsmacht liegt eindeutig bei den „Erzieherinnen“, die Bestimmungsrichtung wird aber aus dem Studium der individuellen Person des Kindes gefunden. Erziehung als Entwicklungsförderung spielt sich phasenweise im Spannungsfeld von Orientierung geben und Orientierung ermöglichen ab.

Angewandt auf die Orientierung über TZI in Ausbildungsgruppen: Welchen Grad an Mündigkeit, also an TZI-Autonomie kann und will ich den einzelnen Teilnehmerinnen zutrauen? Wieviel flankierenden Halt möchte ich ihnen – gleichsam als Vormund – geben und für wie fruchtbar halte ich Orientierungslosigkeit beim Aufspüren und Kreieren der TZI? Die konkurrierenden oder zu balancierenden Bildungsansätze: TZI Vermitteln auf der einen Seite und Ermöglichen die TZI zu entdecken auf der anderen Seite. Wie kann ich die Konkurrenz dieser beiden Bildungsansätze ausbalancieren? 

In der Geschichte der TZI-Ausbildung gibt es ein Beispiel der Kurs-/Seminarleitung mit Orientierungs-losigkeit: Kari Aschwanden. Er kam häufig/bisweilen später als die Teilnehmenden in die Gruppe und hat – obwohl eindeutig in der Rolle der Seminarleitung – nichts gesagt und insofern die Erwartung, dass der Leitende einführende und orientierende Worte am Anfang des Seminars sagt, enttäuscht. Oder eine Minimalversion von Thema gegeben: „Wir fangen jetzt an.“ oder „Wir machen jetzt weiter.“ (Nach dem Augen- und Ohrenzeugen David Keel) Diese Leitungsweise war sicher polarisierend, für manche überraschend und verstörend, insgesamt aber wohl recht fruchtbar. Wer sie einordnen wollte, konnte sagen, sie sei nicht tzi-gemäß, sondern eher Gruppendynamik. Oder doch übersinnliche Dynamik? Dynamik aus dem Unbewussten?

Auch in der Selbstausbildung sind die Teilnehmenden nicht „auf ihren eigenen Saft“ beschränkt. Sie bekommen fachliche Inputs und sind aufgefordert sich weitere Fachquellen zu besorgen. Ihre Fach-kompetenz bauen sie auf ihren schon vorhandenen Kompetenzen auf, indem sie im Gespräch und beim  Ausprobieren die gesammelten Ansichten austauschen und auf ihre Tauglichkeit hin überprüfen. Auf diesem Weg eignen sie sich Neues an. (Anregung von Annemarie Reber: frz. apprivoiser in „Der kleine Prinz“: zähmen, für sich gewinnen. Auch zugänglich machen?) Mit dem Einverleiben von Techniken, Methoden und Grundannahmen, von denen sie überzeugt sind, erweitern sie ihr Repertoire. Auf diese Weise integrieren sie Neues; sie entwickeln sich fort und bleiben sich treu. 

Unterscheidung von Handlungsebene und Verfahrensebene

Beim Nachdenken über TZI-Gruppenleitung möchte ich mit der Unterscheidung von Orientierung auf der Handlungsebene und Orientierung auf der Verfahrensebene experimentieren. Eine (Hypo)These dabei: Je weniger konkrete Orientierung auf der Handlungsebene umso höher die Mündigkeit und umgekehrt. Angewandt auf die TZI-Gruppenleitung hieße das: Je fester meine Bindung an die Vorstruktur umso höher meine eigene Unmündigkeit als Gruppenleiter. Wenn ich den Ehrgeiz habe, dass der Prozess nach dem bewährten Plan verläuft, setze ich auf meine eigene Sicherheit durch Orientierung auf der Handlungsebene. Ich setze – gleichsam als mein eigener Vormund – auf die Allgemeingültigkeit meiner Vorstruktur und gebe sie mir als Plan mit auf den Weg, an den ich mich halten sollte. Auf der Gegenseite: Wenn ich dem Prozess vertraue, mich gleichsam ihm ausliefere, sehe ich in meiner eigenen Desorientierung hinsichtlich des weiteren konkreten Ablaufs eine Chance für die Prozessorientierung. Ich habe nicht den festen Plan, was ich wann tun werde, sondern ich habe Vertrauen auf meine Kompetenz auf der Verfahrensebene. Dann setze ich weniger auf meinen Plan als vielmehr auf Improvisation oder – mit Ruth Cohn – auf „geschulte Intuition“ („schnelles Denken“ von Kahneman?). Ich setze auf meinen eigenen Einfallsreichtum und den der Gruppe und der einzelnen Mitglieder. Ich vertraue dem gruppen-dynamischen und thematischen Gespür von uns allen und dem unserer Lerngemeinschaft Gruppe.

Es läuft auf die Frage hinaus: Auf welcher Ebene ist die Orientierung an meiner Vorstruktur angesiedelt, auf der der Handlung oder auf der der Verfahren? Bei der Vorüberlegung „Wenn ich den Eindruck habe, dass der WIR-Faktor zu kurz gekommen ist, werde ich über Themensetzung oder/und Strukturvorschlag als Leiter oder über einen Beitrag als Partizipant zu bewirken versuchen, dass dieser Faktor mehr Platz im Prozess bekommt.“ bewege ich mich auf der Verfahrensebene. Ich weiß vor dem Eintreffen der Situation noch nicht, welche konkrete Intervention, welches konkrete Thema ich zum Balancieren setze. Ich möchte streng unter-scheiden zwischen den Ausdrücken „ Dann werde ich das Thema … setzen.“ (Ausdruck 1) und „Dann werde ich mein Interventionsrepertoire abklopfen nach dem, was mir geeignet zu sein scheint.“ oder „Ich bin zuversichtlich, dass mir etwas Passendes einfallen wird.“ (Ausdruck 2) Auf der gleichen Ebene wie Ausdruck 2 sehe ich „Ich schaue nach innen, schaue nach außen und dann entscheide ich (mich).“ Auch wenn dieser Ausdruck wie eine Handlungsbeschreibung daherkommt: Er formuliert ein Verfahren, mit dessen Hilfe ich eine konkrete Handlungsidee zu finden hoffe. 

Auch in diesem Ansatz weiß ich nicht vorher, wie ich mir selbst konkret aus der Bredouille helfen werde. Meine konkrete Handlungsidee kenne ich noch nicht; ich habe nur mein Vertrauen in meine Verfahrens-kompetenz und in mein Handlungsrepertoire. In der gleichen Kategorie sehe ich den Ausdruck „Ich nutze das 4Faktorenmodell als Kompass für meine Gruppenleitung.“ Was ich konkret tun werde, weiß ich nicht. Die Sicherheit, die mir diese Haltung gewährt, ist keine im Machen oder Tun, sondern eine im Sein. Ich bin mir jetzt sicher in Bezug auf mich selbst, meine Fähigkeiten und meine Aufmerksamkeit in der Situation. Wie ich in den späteren Situationen sein werde, weiß ich nicht. Mit Heinrich Jacoby: Die Sicherheit, die Zuversicht bezieht sich auf meine psychophysische Verfasstheit, von der ich annehme, dass sie mir in der Situation mein ganzes Repertoire zur Verfügung stellt. Und sollte der Prozess schief laufen, ist nicht alles verloren. Es gibt ein Leben nach dem Fehler. 

Auch wenn meine Sympathie beim Improvisieren liegt, letzten Endes sollte die tatsächliche Leitungsart Vorstruktur und Improvisation kombinieren, die Ungewissheit der Zukunft und deren partielle Planbarkeit integrieren. 

Hinter diesen Gedanken steckt meine Überzeugung, dass die Zukunft nur zum Teil in meiner Hand liegt. Diese Selbstverständlichkeit finde ich zu oft als selbstverständlich genommen, also als Gegebenheit, um die man sich nicht groß kümmern müsse. Dieser Eindruck, dass Selbstverständliches ignoriert wird, hat mich – angeregt durch Moshé Feldenkrais – dazu gebracht, gerade Selbstverständlichkeiten im Bereich von Bildung, Ausbildung und Beratung, aber auch in meinem eigenen Alltag aufzuspüren und auf ihre Bedeutung und ihre Wirkungen hin zu untersuchen. 

Das Ernstnehmen der prinzipiellen Ungewissheit bei der Gestaltung von Zukunft führt in die Gegensatz-einheit von Unsicherheit und Zuversicht. Hierher gehört Ruth Cohns Vorschlag sich als teilmächtig zu begreifen und sich so anzunehmen. Es geht um’s Balancieren zwischen Allmacht und Ohnmacht, Machtfülle und Machtlosigkeit, zwischen Größenwahn und Kleinheitswahn von uns ehemaligen Kindern.  ((Schwulst, Schwulst))

((Den Ansatz am Verfahren weiter erläutern? weiteres Beispiel?))

Ruth Cohn ist fasziniert von Morenos „impromptu Theatre“/„Psychodrama-Theater“ in New York City; sie nennt es „Zufallsschauspiel“. (aus der Diplomarbeit von Lenard Roseland)

Wenn wir die TZI-Geschichte und -Entwicklung untersuchen, können wir die Frage stellen: Wo sehen wir welchen Einfluss des Zeitgeistes, des – oder besser eines – gesellschaftlichen Mainstreams auf die Personen, die die TZI lehren, verbreiten oder erlernen und für sich nutzen wollen? Ich benutze dazu den soziologischen Ansatz von Hartmut Rosa, der als Denkmuster der Moderne die Verfügbarkeit erkannt hat; das Streben der hochtechnisierten Zivilisation nach totaler Verfügbarkeit. Wenn ich Rosas Gegensatzpaar „verfügbar und umverfügbar“ in die dialektische TZI-Denkfigur Gegensatzeinheit übertrage, dann ergibt sich als eine der Gretchen-Fragen an die TZI: Wie hast du zwischen verfügbar und unverfügbar balanciert? Oder: Wie hast du die Unverfügbarkeit von Denken, Dingen, Ereignissen und Personen gegen die Diktatur der totalen Verfügbarkeit verteidigt? 

Gründe für die Unterwerfung unter den Zeitgeist: 

  • Legitimierung im Markt, vor den Nutzern, im beruflichen Kolleginnenkreis 
  • Anschlussfähigkeit an die Bildungserwartungen 

Dabei ist auch zu untersuchen, welcher Zeitgeist Ruth Cohn selbst mitbestimmt hat. Als Zeitgeist sehe ich gesellschaftliche Ansichten, die so selbstverständlich sind, dass sie nicht in die Bewusstheit kommen; z.B. die Ansicht, dass sich die Gesellschaft fortschrittlich entwickelt, also nicht nur technisch und technologisch, sondern auch organisatorisch und moralisch immer besser wird. Es mag – dieser Ansicht nach – zu Rückschlägen kommen, aber grundsätzlich gilt die Überzeugung: Die Menschheit entwickelt sich mithilfe der industriellen Zivilisation – ursprünglich westlicher Prägung – , der darin etablierten Freiheit und Aufgeklärtheit zu mehr Wohlstand für alle und zu mehr Offenheit für Fremdes, für Randständiges und für Minderheiten. In diesem Sinne hat auch Ruth Cohn ihre TZI als emanzipatorisch und befreiend verstanden und verbreitet. Ihrer Ansicht nach beginnt dieses Befreiung bei der Autonomie der Einzelnen und setzt sich fort als Emanzipation von Randgruppen. Die Fortentwicklung des Individuums zur Freiheit drückt sie in dem Gedanken „Wachstum ist möglich.“ aus. Damit gerät die TZI-Überzeugung in das Fahrwasser des Wirtschaftsliberalismus, nach dem die Wirtschaft notwendigerweise immer weiter wachsen muss. Dem hat bereits der Club of Rome widersprochen. Im Jahre 2021 wieder sehr aktuell im Rahmen der Diskussion über den Klimawandel. 

Zu der gesellschaftlichen Einstellung von 

Wachstum als Notwendigkeit in der Wirtschaft; fortwährende Produktion ohne Alternativen anzugehen; darin enthalten die Gleichsetzung von Gesellschaft als Konsumgesellschaft 

Fortschrittsglaube, dass der technische Fortschritt die gesellschaftlichen/globalen Probleme schon lösen werde 

Beides zusammen als Garanten des erforderlichen Wohlstands für alle 

Fetisch Freiheit

Die Konkurrenz zwischen dauerhaft und augenblicklich; Morenos Bevorzugung des Augenblicks, des Moments. Also „sub specie momenti“ gegen „sub specie aeternitatis“ (Moreno, Gruppenpsychotherapie und Psychodrama S. 3) 

Improvisieren: sich der Originalität der eigenen Einfälle auszuliefern und anzuvertrauen